Tier Rechts Bund

"Bist Du der Mann, der die Mäuse umbringt?"

Beiträge / Presse- Infos zum Tierrecht & Tierschutz
Datum: 21.08.2003, 12:34 Uhr
Ein Blick in deutsche Forschungslabors Trotz strengerer Gesetze steigt die Zahl der Experimente mit Tieren – doch in vielen Fällen gibt es keine realistische Alternative.

Sinnfälliger könnte das Plakat nicht platziert sein: „Ich esse nichts, was Augen hat“, steht dort vor dem Emil-Fischer-Zentrum in Erlangen. Darunter ein kuscheliges, kleines Kaninchen. Ein stummer Protest gegen den Pharmakologen Kay Brune und seine Kollegen, die hier Tierversuche machen? Oder fällt einem genau das ins Auge, womit man sich gerade beschäftigt? Brune jedenfalls hat Sinn für Symbolik: In der Eingangshalle des Emil-Fischer-Zentrums, in dem der Professor für Pharmakologie und Toxikologie seine Labors hat, hängen an den Wänden Chimären aus Stahl, hybride Mischungen aus Mensch und Tier. Der Wissenschaftler hat sie dort anbringen lassen, um seine Studenten an die Nähe zur Kreatur zur erinnern. Ist das zynisch oder weise? Im Keller desselben Gebäudes liegt in einer Metallschale, die an eine Babywaage erinnert, ein zehn Tage altes Ferkel auf dem Rücken; es ist anästhesiert, die vier Klauen zeigen in die Luft. In die aufgeschnittene Halsröhre führt ein Schlauch, mit dem eine Waschlösung in die Lunge des Tiers geleitet wird; um die Hüften haben die Laborassistentinnen dem Schweinchen eine lustige Babywindel gebunden, mit Bärchen auf den Klebestreifen. Schweine verlieren während der Narkose oft Stuhl.Das Schwein mit der Windel An dem Ferkel wird ein Medikament erforscht, das die Lungenfunktion von frühgeborenen Kindern verbessern soll; das Tier wird später eingeschläfert. „Wer ein Baby hat, das mit einem solchen Medikament gerettet werden kann, der ändert seine Haltung zu Tierversuchen“, sagt Kay Brune. Was uns mitten in die seit Jahrzehnten heftige Debatte führt: Tun Wissenschaft und Industrie genug, um Tierversuche zu vermeiden, sie ganz abzuschaffen? Manche Tierschützer argumentieren grundsätzlich: Kein Tier dürfe leiden, um dem Menschen zu nutzen. Andere argumentieren: Die Ãœbertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen sei fragwürdig, und es gebe Alternativmethoden. Auch bei den Versuchs-Befürwortern gibt es ganz Ãœberzeugte. Sie finden, die Forschung sei in Gefahr, wenn Tierversuche weiter eingeschränkt würden, Wissenschaftler wanderten ins Ausland ab. Brune dagegen ist ein Vertreter des Sowohl-Als-Auch: Er will „so wenig Tierversuche wie möglich, so viele wie nötig“. Und verweist auf das „dreifache R“: „refine, replace, reduce“: Tierversuche sollen in ihrer Aussagekraft verbessert, wenn möglich ersetzt oder zumindest in ihrer Anzahl verringert werden.Nach den neuesten Zahlen jedoch hat die Zahl der Tierversuche im vorvergangenen Jahr um 300000 zugenommen; rund 2,1 Millionen Versuchstiere sind 2001 in Deutschland verwendet worden, klagt der deutsche Tierschutzbund. Einmal, weil die Genforschung derzeit einen besonders hohen „Verbrauch“ hat. Und dann gilt seit 1999 ein neue Meldeverordnung, nach der auch ein Tier als Versuchstier zählt, wenn nach seinem Tod der Körper zu Forschungszwecken verwendet wird. Es gibt viele „einerseits“ und „andererseits“ in der Debatte um Tierversuche, das macht die Sache so kompliziert: Einerseits hat sich die EU gerade unter großen Mühen darauf geeinigt, ab 2009 keine Versuche mehr für Kosmetik-Produkte zuzulassen. Andererseits kommt die Regelung spät und lässt viele Ausnahmen zu. Einerseits hat die EU gerade beschlossen, 100000 chemische Altstoffe auf ihre toxische Wirkung testen zu lassen. Was dem Verbraucher mehr Sicherheit geben soll – andererseits neue Tierversuche bedeutet. Der Erlanger Pharmakologe Kay Brune ist ein guter Anlaufpunkt, um auf einer kleinen Rundreise durch deutsche Labors den Stand der Debatte zu erörtern. Er hat am 1.Juli die erste Professur für „Innovation im Tier- und Verbraucherschutz“ übernommen. Eine Stifterin hat der Universität Geld gegeben, Brunes Lehrstuhl wurde umgewidmet, nun soll er sich der Erforschung von Alternativen zum klassischen Tierversuch widmen. In Konstanz und Hannover sind ähnliche Lehrstühle in Planung. Derzeit arbeitet Brune in einigen Projekten mit Tieren, in anderen ohne, und er ist sicher, dass beides sein muss: „Man kann nicht alles an Zellkulturen oder im Kernspin–Tomographen herausfinden. Die Alzheimer-Krankheit muss ich im funktionierenden Gehirn erforschen.“ Einer, der sich zwar der Entwicklung von Alternativen widmet, aber dem Tierversuch nicht abschwört, hat immer mit Ärger zu rechnen, so viel hat auch Brune gelernt.Vor einer Weile hätten Tierschützer vor Kindergärten und Schulen Zettel mit seiner Telefonnummer verteilt, sagt er, und dann habe er viele Anrufe von wütenden Kindern bekommen: „Bist Du der Mann, der die Mäuse umbringt?“ Von so etwas kann auch Andreas Kreiter ein Lied singen. Er forscht hinter Stacheldraht, ein Wachmann öffnet das Tor.Vor einer Weile hingen an der Bremer Universität, wo der Hirnforscher mit Makaken arbeitet, noch Schilder, auf denen Kreiter als „Affenmörder“ tituliert wurde. Kreiter selbst sagt über sich, er habe zu seinen rund 15 Makaken ein Verhältnis „wie ein guter Bauer zu seinen Hoftieren“. Selten wird ein Tier eingeschläfert, dazu sind die von besonderen Tierzüchtern gezogenen Affen mit 4000 Euro viel zu teuer.Kreiter erforscht an seinen Affen, die Namen wie Kurt oder Hinnerk tragen, wie und welche Hirnzellen zusammenarbeiten, wenn sie ein komplexes Bild gemeinsam erfassen wollen. Er nennt das: „Sie singen im Chor.“ Kurt, Hinnerk und die anderen Affen haben ein Loch in der Schädeldecke. Auf dem Loch sitzt ein Aufbau aus Zahnzement, aus dem eine Metallstange herausragt; an dieser werden sie in speziell gefertigten Stühlen festgeklemmt, damit sie ohne größere Regungen ein paar Stunden am Tag auf einem Bildschirm wandernde Lichtreflexe verfolgen können.Ihre Hirntätigkeit wird dabei mit haardünnen Elektroden untersucht, die während des Versuchs in das Hirn vorgeschoben werden. In ihrer Freizeit sind die Affen in geräumigen, hellen Käfigen untergebracht und hüpfen äußerlich unbeeindruckt von ihrem Kopfaufbau zwischen Seilen und Autoreifen herum. Kreiter ist hinter seiner jungenhaften Gelassenheit sehr entschieden der Meinung, dass es zu seiner Arbeit keine Alternative gibt. Das Kernspin-Gerät, welches das Institut auf Drängen des Bremer Senats angeschafft hat, hält er nur bedingt für hilfreich. Ãœberhaupt kann der Forscher die Klagen über Tierversuche nicht verstehen, denn „manche Auflagen an unsere Tierhaltung sind strenger als bei jedem Bauern. Wir dürften jungen Ferkeln nicht ohne Narkose den Schwanz abschneiden.“Eine Ethikkommission berate die jeweiligen Regierungspräsidien bei der Vergabe von Genehmigungen, regelmäßige Kontrollen seien an der Tagesordnung. Im Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist man nur bedingt zufrieden mit der Entwicklung. Ja, die Wissenschaftler gingen bewusster mit Tierversuchen um, sagt Staatssekretär Alexander Müller, und führt das auf politischen Druck, Imageprobleme, den Rückgang öffentliche Fördergelder und Drittmittel zurück.Das sei gut, aber nicht gut genug. Doch dann macht auch Müller eilig ein paar Einschränkungen, wenn er schildert, wie wünschenswert Alternativmethoden wären: „Je komplexer ein Organismus, desto weniger ist eine Zellkultur einsetzbar.“ Vollends prosaisch betrachtet Jörg Schmidt die Frage von Tierversuchen. Er leitet bei der Gesellschaft für Umwelt und Gesundheit (GSF) in Neuherberg bei München die Abteilung für Vergleichende Medizin und ist damit mit verantwortlich für 40000 Mäuse und 80000 Fische sowie einer Handvoll Beagles, die als Versuchstiere in Neuherberg leben – und sterben.Er sei nicht bereit, mit Tierschützern über Sinn und Unsinn von Experimenten an Tieren zu diskutieren, sagt Schmidt, das müsse der Gesetzgeber tun. Als Forscher könne er sich nur zum Nutzen von Tierversuchen äußern: „Erfolgreiche Knochenmarktransplantationen bei Blutkrebspatienten sind nur möglich gewesen, weil wir das vorher erfolgreich an Hunden ausprobiert haben.“ Noch immer könnten dreißig Prozent aller Leukämie-Kranken nicht geheilt werden. Also müssten auch die Experimente an den Beagles weitergehen. Forschung im Selbstversuch? Tierversuchsgegner wie der „Verband Menschen für Tierrechte“ oder die „Ärzte gegen Tierversuche“ beklagen, Tierversuche würden Jahr für Jahr mit öffentlichen Geldern in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro gefördert. In die tierversuchsfreie Forschung investiere die Bundesregierung dagegen nur Bruchteile dieser Summe. Tierversuchsfreie Tests, zum Beispiel mit Zellkulturen, böten zwar heute schon beachtliche Möglichkeiten, jedoch könne sich dieser Zweig der Forschung nur bei ausreichender Förderung voll entfalten. Das findet auch Kay Brune, der an seinem Nürnberger Lehrstuhl nach Alternativen zu Tierversuchen forscht. Probleme hat er hingegen mit einer Forderung, die aus einer ganz anderen Richtung kommt: Der Professor hat gerade einen Artikel verfasst, in dem er sich gegen Tierschützer wehrt, die finden, man solle an Menschen erforschen, was für Menschen genutzt werde. Schließlich seien doch auch Penicillin oder der Herzkatheter in Selbstversuchen erforscht worden.Brune, der ein ruhiger Mann mit leiser Stimme ist, wird auf seine stille Art ziemlich ärgerlich und warnt vor einer absurden Ãœberspitzung der Debatte. Soll er sich etwa in einem Selbstversuch krank machen wie sein berühmter Vorgänger, der Chemie-Nobelpreisträger Emil Fischer, der Riechversuche mit krebserregenden Stoffen machte – und später an Magenkrebs starb?quelle:SueddeutscheZeitung, 05.08.2003


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